Erst mit 22 Jahren hat Oskar Moll als ehemaliger Biologiestudent zur Malerei gefunden, als Autodidakt, der sich in Berlin durch freie Studien das technische Rüstzeug aneignete. Unter dem Einfluss seines Lehrers Lovis Corinth entstanden in einem farbig gedämpften Impressionismus Genre Interieurs und Stadtansichten. Nach der Begegnung mit dem deutschen Impressionisten Ulrich Hübner hellte sich seine Palette auf, auch Moll trug nun die Farbe pastoser auf. Sonnendurchflutete Landschaften bei Grafrath sowie lichte und farbige Schneebilder waren die Folgen, mit denen er 1905 bei der Münchener Secession debütierte. An der Seite seiner Frau Margarete Haeffner (1884-1977), die unter dem Namen Marg Moll Geschichte in der deutschen Bildhauerinnenkunst schrieb, brach der Berliner Secessionist im Winter 1907 erstmals nach Paris auf; schon ein Jahr später stellte er im namhaften Salon d‘Automne aus.
Nachdem das Künstlerehepaar Ehepaar durch Lyonel Feininger in den Pariser Künstlerkreis des Café du Dŏme eingeführt worden war, traf Moll auf Henri Matisse und entwickelte unter seiner Anleitung in der Académie Matisse seine unverwechselbare Kunstsprache: ungebrochene Reinheit der Farbe, Harmonie ihrer schönfarbigen Kontraste und Empfindung für Gleichgewicht von Farbe und Form. Zusätzlich baute sich der finanziell unabhängige schlesische Fabrikantensohn zwischen 1908 und 1914 eine repräsentative Matisse-Sammlung auf.
Es sind besonders Molls Stillleben zwischen 1916 und 1918, die durch die Betonung des ornamental Dekorativen, durch die Beziehung zwischen den Gegenständen, das lineare und farbige Gleichgewicht und die Harmonie der Farbmodulationen an seinen Mentor erinnern. Matisse regte die polyphone Ausdruckskraft eines von Musikalität geprägten Künstlers an, der selbst passionierter Cellospieler war. Doch allmählich beschritt Moll eigene Wege. Seine leuchtenden Farben differenziert er mehr im Sinne von Paul Cézanne, indem er die Töne modulierte, wobei ihm bei der methodischen Farbzerlegung die neoimpressionistische Pinseltechnik entgegenkam.
Mit den Pariser Erfahrungen entdeckte Moll ab 1910 auf seinen Reisen in den Süden eine arkadische Welt von Licht und Farbe. Doch weder mit seiner südländischen Palette und Leichtigkeit noch mit dem Prinzip des L’art-pour-l’art fand er in der Heimat eine breite Anhängerschaft. Landschaft und Stillleben können in Molls Bildern zu einer Synthese verschmelzen. Es ist die Sicht eines Romantikers, wenn sich der Blick über die Veranda oder den Balkon durch das Geäst der Obstbäume in der Ferne der Meereslandschaft mit verschwindend kleinen Segelbooten verliert oder unter einem bewölktem Himmel eine Alpenlandschaft sich panoramaartig Raum schafft. Ohne Zweifel gehören die traumhaften Naturstimmungen als sublime farbige Improvisationen zwischen 1912 und 1924 zu seinen künstlerischen Höhepunkten. Hier zeigt sich auch Molls großes Talent als Aquarellist.
So erzählt der „Farbsymphoniker“, wie der Maler Johannes Molzahn ihn nannte, in seinen Stillleben zumeist von der vitalen, blühenden Natur. Im 1893 abgebrochenen Biologiestudium konnte der Spätberufene seinen Blick auf die Schöpfung der Natur sensibilisieren. Die Schönheit in der pflanzlichen Wachstumsgebärde fördert seine ganz eigene intuitive vegetabile Ästhetik. Seine Früchte- und Blumenstillleben ergänzte Moll mit kunsthandwerklichen Requisiten, die er mit einer Passion für Antiquitäten auf Reisen oder auf dem Kunstmarkt erwarb: tönerne Amphoren, steinerne Henkelkrüge, bemalte Keramikteller, langhalsige Weinflaschen und kostbare Glaspokale, zwischen denen sich Fächer, Spielkarten, Tageszeitungen, Tabakpfeife und Pinsel schieben können. So bereicherte er seine Kompositionen mit dekorativen Stoffen und mit ornamentierten Wandschirmen aus Japan, vor denen Gipsabgüsse von antiken Reliefs und Büsten sowie von klassisch modernen Kleinplastiken platziert werden. Bis 1942 malte Moll stets vor selbst ausgebreiteten Objekten, erst nach den Kriegswirren werden solche Arrangements auch aus der Erinnerung konzipiert.
Zwischen Ende 1926 und 1932 wandte sich Moll einer kubistischen und geometrischen Konstruktion seiner Bilder zu, die grafische und konkret-plastische Elemente miteinander verknüpft. Der Einfluss des Kubismus berührte auch das bildhauerische Werk seiner Ehefrau Marg, die 1928 Schülerin von Fernand Legér war und in Paris Einflüsse bekannt gewordener Bildhauerkonzepte von Alexander Archipenko, Constantin Brâncuși und Ossip Zadkine verarbeitete. Diese kubisch-konstruktive Phase schlägt sich auch in Molls kunstgewerblichen Arbeiten nieder. Sie sind Ausdruck der Synthese freier und angewandter Kunst, die an der Breslauer Akademie gelehrt wurde. Molls durch den Jugendstilkünstler August Endell beeinflusstes Konzept bescherte der Hochschule den Rang einer überregional bedeutenden Ausbildungsstätte.
Molls offene, aufgeschlossene und weitsichtige Haltung als Akademiedirektor befähigt ihn gegen Widerstände manch anderer Kollegen personelle Berufungen durchzusetzen, die dem Lehrkörper an der Akademie auch einen Generationswechsel bescheren. Mit seinem persönlichen Einsatz für die Bauhaus-Künstler Oskar Schlemmer und Georg Muche, für den Berliner Architekten Hans Scharoun und dem Werbegrafiker und Maler Johannes Molzahn sowie für die Vertreter der Neuen Sachlichkeit Alexander Kanoldt und Carlo Mense werden in Breslau der 1920er Jahre vielschichtige künstlerische Konzepte der Moderne gelehrt. Als Mitglied des Künstlerbundes Schlesien organisiert Moll Ausstellungen, mit denen Interessenkonflikte zwischen dem Wesen einer nationalen Akademie und den Zielen des regionalen Künstlerbundes ausgelöst werden. Neben der Förderung der überregional beachteten Breslauer Werkbund-Ausstellung (WuWA), die 1929 einen Überblick auf zeitgenössische Tendenzen im Bau- und Wohnungswesen gibt, liegt Moll als Mitglied des Ehrenkomitees die Gleichwertigkeit aller Gattungen der bildenden Künste besonders am Herzen.
Moll ist in erster Linie Landschafts- und Stillebenmaler. Daneben gesellen sich vereinzelt charakteristische Porträts aus dem Berliner und Breslauer Kunstleben. Ansonsten konzentriert sich Moll zumeist auf familiäre Bildnisse oder auf private Auftragsarbeiten vor allem während der entbehrungsreichen Hitlerzeit, in der auch seine badenden Akte oder verträumten Nymphen Sehnsuchtsgefühle nach Harmonie von Mensch und Natur wecken.
So traf den „Grandseigneur von zarter Sensibilität“ (Hugo Hartung) während der Nazidiktatur das Schicksal vieler moderner Künstler. Seine letzten zehn Lebensjahre waren alles andere als einfach. Als am 18. Juli 1937 Adolf Hitler seine Rede über „Entartete Kunst“ in die Mikrofone bellte, und später die Schmähausstellung am Münchner Hofgarten eröffnet wurde, galt Oskar Moll plötzlich als Verfemter. Aber der ließ sich für keine politischen Ziele oder ideologischen Programme der Nazis missbrauchen. Das Credo dieser souveränen Persönlichkeit blieb immer von humanistischen und interkulturellen Idealen getragen; die menschenverachtenden Aktionen der Diktatur trafen ihn freilich schwer. Neben Amt und Reputation verloren Oskar Moll und seine Frau Marg bei einem Luftangriff im Februar 1944 auch ihr von Hans Scharoun entworfenes Wohn- und Atelierhaus in Berlin-Grunewald mitsamt der wertvollen Kunstsammlung, viele eigene Werke eingeschlossen.
Seit der „inneren Emigration“ fügt der zwangsemeritierte Professor die Bildgegenstände zugunsten einer klareren Formensprache mit gefestigtem Bildaufbau wieder zu einer ganzheitlichen Komposition zusammen. Seine späten Schneebilder vom Anfang der 1940er Jahre können neben der atmosphärischen Transparenz eine gläserne Härte nicht verleugnen. Seine nunmehr aus der Erinnerung konzipierten Stillleben reduzieren sich auf wenige Alltagsgegenstände in ausgeprägter Umrisszeichnung. Ersehnte Landschaften wie jene erhöhten Ausblicke über das Wasser des Havelsees oder des Mittelmeeres mit vereinzelten Segelbooten wirken in zarten Pastelltönen sanft und traumhaft schwebend. Es ist bereits der retrospektive Blick eines meditierenden Mannes vor seinem Tode. Oskar Moll starb am 19. August 1947 in Berlin. Er hinterließ trotz spürbarer Kriegsverluste ein beachtliches Gesamtwerk, das heute exemplarisch in über vierzig öffentlichen Museen vertreten ist und regelmäßig auf Auktionen aufgerufen wird.
(Leicht veränderte und aktualisierte Fassung eines Textes von Leistner 2007 → Literatur)