Oskar Moll und die Tochter des Kunsthistorikers Wilhelm Waetzoldt

Lesende mit roter Jacke. 1925
Öl auf Leinwand
100 x 75 cm
sign., bez. u. dat. u.l.: Oskar Moll / Levanto 25
Privatbesitz

In seinen Breslauer Akademiejahren pflegte Oskar Moll regen Kontakt mit namhaften deutschen Kunsthistorikern. Neben seiner Bekanntschaft mit Wilhelm Pinder, der 1916 und 1919 an der Universität Breslau lehrte, mit August Grisebach, dem Ordinarius für Kunstgeschichte an derselben Universität oder mit Heinz Braune, dem Direktor des Schlesischen Museum für bildende Künste in Breslau, war die Beziehung zu Wilhelm Waetzoldt wohl enger. Zumindest statteten sie als Italienfreunde sich wechselseitig Besuche ab, wenn der Kunsthistoriker in Florenz weilte und der bildende Künstler in Levanto Erholung suchte. Als Waetzoldt 1927 zum Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin berufen wurde, in dessen Funktion er besonders die moderne Kunst förderte, war ihm der arrivierte Stillleben- und Landschaftsmaler kein unbekannter mehr.

Denn ein halbes Jahr vor seiner offiziellen Berufung zum Breslauer Akademiedirektor widmete sich Moll 1925 während eines Frühjahrsaufenthaltes in Levanto einer „Lesenden mit roter Jacke“. Hinter diesem Modell verbirgt sich Waetzoldts 15-jährige Tochter Ursula, die in einem Innenraum neben einem geöffneten Fenster mit erhöhter Sicht auf das azurblaue Meer Platz genommen hat. Der erwachsen wirkende Teenager hält ein aufgeschlagenes Buch in den Händen, von dem er achtsam zum Betrachter aufblickt. Kontrastreich setzen sich die Grundfarben der kurzen blonden Haare, der rote Jacke und des blaue Rocks von den Grünnuancen des geblümten Hintergrundes ab.
Aufgrund einer überlieferten Widmung von Oskar Moll auf einer Zeichnung mit der Darstellung von Levanto aus dem Jahre 1925 ist davon auszugehen, dass die heranwachsende junge Frau in diesem vorliegenden Gemälde als Konfirmandin mit Gebetbuch dargestellt wurde.

In späteren Jahren wird Ursula an der Seite ihrer fünf Kinder aus zwei Ehen eine ansehnliche Karriere als Militärhistorikerin starten. Als zuletzt verheiratete von Gersdorff gab die promovierte Geschichtswissenschaftlerin am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg/Breisgau zwischen 1958 und 1977 Schriften zur Kriegsgeschichte heraus. Ihre profunde Abhandlung über „Frauen im Kriegsdienst“ fand in der Fachwelt große Beachtung.

Über neunzig Jahre nach Entstehen ihres Jugendbildnisses taucht es erstmals auf dem deutschen Kunstmarkt auf, zuletzt am 21. April 2018 auf der 1105. Auktion bei Lempertz in Berlin, wo es verkauft wird. Der Käufer ist kein geringerer als der Sohn der Dargestellten aus ihrer ersten Ehe mit Wolfgang Graf Vitzthum von Eckstädt (1902-1941).

Für Moll steht dieses anmutige Bildnis übrigens am Beginn einer Breslauer Porträtserie interessanter Künstlerfrauen wie zum Beispiel von Ilse Molzahn, Else Muche und Inge von Mandel.