Oskar Moll und Variationen eines Motivs
Unbekanntes Stillleben in Privatsammlung entdeckt

1 Stillleben mit weißem Krug, Plastik, Fächer und Äpfeln II. 1917 Öl auf Leinwand 56 x 63 cm Unsigniert Privatbesitz

1 Stillleben mit weißem Krug, Plastik, Fächer und Äpfeln II. 1917
Öl auf Leinwand
56 x 63 cm
Unsigniert
Privatbesitz

Für Oskar Moll war es nicht ungewöhnlich, aus verschiedenen Perspektiven ein beliebtes Bildmotiv in mehreren Versionen zu malen. Besonders zwischen 1916 und 1918 variierte der Künstler im Bereich der Stillleben- und Landschaftsmalerei ein gängiges Thema im Interesse kompositioneller Experimente. In manchen seiner Stillleben gibt es nur wenige Veränderungen zwischen zwei Varianten, was zu der Vermutung Anlass gibt, Moll hätte ein bevorzugtes Sujet zu unterschiedlichen Tageszeiten wiederholt. So eventuell bei dem erst kürzlich in einer Privatsammlung entdeckten Stillleben (Abb. 1), das ursprünglich dem deutschen Bildhauer Berthold Müller-Oerlinghausen (1893-1979) gehörte, mit dem das Künstlerehepaar Moll befreundet war.

Auf einer drapierten Tischdecke breiten sich kreisförmig verschiedene Gegenstände aus. Um den bildmittigen Henkelkrug scharen sich eine Topfpflanze in einer Schüssel als Untersetzer und ein plastischer Frauenakt. Den Vordergrund bilden Früchte und ein am Krug lehnender, leicht geöffneter Fächer.
Das bekannte Pendant (Abb. 2) dazu trägt seit 1975 den Titel „Stilleben mit weißem Krug, Plastik, Fächer und Apfelsinen“. Man ging damals bei den Früchten noch von Apfelsinen aus, was nun im Vergleich mit der anderen Fassung nicht bestätigt werden kann. Es handelt sich auf beiden Bildern eher um Äpfel.

2 Stillleben mit weißem Krug, Plastik, Fächer und Äpfeln I, 1917
Privatbesitz

2 Stillleben mit weißem Krug, Plastik, Fächer und Äpfeln I, 1917
Privatbesitz

Im Unterschied zu der Neuentdeckung ist die andere Version rechts unten eigenhändig vom Künstler mit „Oskar Moll 17“ signiert und datiert. Es spricht also nichts dagegen, das Gegenstück ebenso in das Jahr 1917 zu datieren. Zudem sind die Maße beider Werke nahezu identisch, was darauf hindeutet, dass Moll in zeitlich kurzer Abfolge gleichgroße Leinwände auf den Keilrahmen gespannt hat. Denn es ist bei beiden Gemälden erkennbar, dass die Topfpflanze, eine weiße Begonie, im selben blühenden Zustand erfasst wird. In der Entstehung der Bilder dürfte daher nur eine geringe Zeitspanne gelegen haben.

Im Vergleich der Werke ergeben sich in Auswahl und Standort der Objekte Parallelen, wobei bei der ersten Fassung ein Apfel fehlt. Allerdings liegen in der atmosphärischen Wirkung beider Bilder deutliche Unterscheide. Das liegt zum einen am Bildausschnitt, der mit dem Aufsichtswinkel eine stärkere Distanz zum Betrachter herstellt. In der zweiten Fassung wird diese Entfernung aufgehoben, das Auge stärker fokussiert auf das Arrangement. Zum anderen schwankt bei den Gemälden die farbige Lichtinszenierung zwischen einer Kalt-Warm Wirkung. Die bereits publizierte Variante zeigt eine flammende Licht-und Farbgebung mit orangeroten Akzenten. Der Hintergrund mit einer besonderen Tapete aus ornamentalen Rankenmustern sorgt für Lebendigkeit, wozu auch ein lockerer und spontaner Pinselstrich über der gesamten Bildfläche beiträgt. Die andere Version ist detailreicher durchkomponiert, was insgesamt einer klaren und einheitlichen Bildwirkung dient. Sie ist zudem mit vorherrschend blauen und grünen Tönen homogener gestaltet. Ein monochromer Vorhang beschließt farblich ausgewogen die Szenerie, in der wenige gelbrote Akzente für einen reizvolleren Kontrast sorgen.

Zu den dargestellten Gegenständen, die allesamt aus dem privaten Inventar des Künstlerehepaares Moll stammen, sei ergänzt, dass es sich bei der Schüssel und dem Henkelkrug um bemalte, weiß glasierte Irdenware unbekannter Provenienz handelt. Interessant ist die kleine Plastik, die einen weiblichen Frauenakt darstellt, der mit angewinkelten Knien auf einem Buch sitzt. Diese Arbeit, die entweder in Gips
oder Keramik ausgeführt scheint, tritt in Molls Stillleben um 1917 häufiger auf, ob nun frontal, im Profil oder wie hier von schräg oben gesehen.

3 Stillleben mit Plastik, Blumenvasen und Wandschirm
(Detail), 1917, Museum Wiesbaden

3 Stillleben mit Plastik, Blumenvasen und Wandschirm
(Detail), 1917, Museum Wiesbaden

Es handelt sich allerdings um keine Matisse-Plastik, wie versehentlich von Salzmann 1975 im Werkkatalog unter Nr. 97 angegeben, wo die gleiche Figur (Abb. 3) in dem famosen Gemälde „Stillleben mit Plastik, Blumenvasen und Wandschirm“ ihren Auftritt hat. Vielmehr könnte Aristide Maillol (1861-1944) Vorbild dieses Aktes sein, weil er bei seinen Vorbereitungen zu dem Monument à Cézanne (1911-1925) zahlreiche solcher liegenden kleinen Frauenfiguren in Terrakotta entworfen hatte. Jedoch fehlt bislang ein vergleichbares Beispiel, um den wahren Schöpfer dieser reizvollen Plastik identifizieren zu können.
Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass Moll mit seiner wunderbaren Variante eines Stilllebens (Abb. 1) ein überzeugendes Beispiel seiner fortlaufenden Experimentierfreude gelungen ist.