Entdeckung eines außergewöhnlichen Stilllebens
Stillleben mit Begonie. Um 1918
Öl auf Leinwand (doubliert)
64,0 x 58,5 cm
sign. l.u.: Oskar Moll
Privatbesitz, Mönchengladbach
Es muss ein herrlicher Sommertag gewesen sein, als sich der 1918 an die Breslauer Kunstakademie berufene Professor anschickte, dieses lichte impressionistische Stillleben zu malen. Schnell wird ein Tisch vor eine rötliche Fensterbank geschoben und mit einer weißen, Falten werfenden Decke überzogen. Darauf legt Moll um das zentrale Motiv der Begonie, die im irdenen Übertopf mit Unterteller steckt, halbkreisförmig zwei unterschiedliche Schneckengehäuse und eine Pfeife. Der erhöhte Blick des Betrachters führt an der vom Bildrand angeschnittenen grünen Wandfläche vorbei und schweift in die Ferne des azurblauen Himmels. Nähe und Distanz verschmelzen sich so zu einer unauflöslichen Einheit.
Mit dem flächigen Bildaufbau und der bewussten Reduktion auf wenige Utensilien gelingt dem Maler eine minimalistische Komposition, die sich auch in der Farbigkeit nur auf den Dreiklang von roten, blauen und grünen Tönen konzentriert. Mit diesem Verständnis von Stillleben distanziert sich der gebürtige Schlesier deutlich von den mehr räumlichen und üppigen Arrangements, in denen er kontrastreicher in der Farbe noch seinem französischen Vorbild Henri Matisse huldigte.
Der besondere Reiz dieses Stilllebens liegt in der originellen Auswahl nicht heimischer Gegenstände, die in dieser Zusammenstellung in Molls Stilllebenmalerei einzigartig sind. Neben der Pfeife, freilich ein beliebtes Accessoire des eigentlichen Zigarrenrauchers, ist es zunächst die besondere Art der Begonie, die eher ein seltenes Exemplar unter den zahlreichen Sorten darstellt. Es handelt sich um eine höher werdende, blühfreudige Begonie (Begonia richmondensis) mit roten Stielen und glatten Blättern die am Rand gezackt und stachelig sind. Die Blüten changieren von weiß-rosa zu rot und enthalten gelbe Stempel. Bei den Gehäusen der Schnecken variiert Moll zwischen der gerippten Purpurschnecke (Ocenebra erinacea), einer an der Nordsee und im Mittelmeer lebende Art aus der Familie der Stachelschnecken, und der kegelförmigen, gesprenkelten Schale einer Meeresschnecke (Conus eburneus), die in Ostafrika, Australien oder Polynesien zu Hause ist.
Fragmentarische, aber authentische Klebezettel auf dem Keilrahmen und dem historischen Schmuckrahmen des Gemäldes liefern den Nachweis, dass Moll mit diesem Stillleben zwischen 1918 und 1922 renommierte Ausstellungen beschickte, nämlich den Kunstpalast Düsseldorf, die Kestner-Gesellschaft in Hannover und die Galerie Flechtheim in Berlin. Seit Anfang der 1930er Jahre befindet sich das Stillleben in rheinischem Familienbesitz.